Der Ausgleich von Zuwendungen und besonderen Leistungen unter Erben
Wenn der Nachlass zwischen Kindern und anderen gesetzlichen Abkömmlingen verteilt wird, müssen oft Zuwendungen oder Unterstützungsleistungen, die ein Erblasser zu Lebzeiten einzelnen Kindern oder Enkeln gewährt hat, berücksichtigt werden. Auch können Ausgleichspflichten entstehen, wenn ein Abkömmling durch persönliche Leistungen, Pflege oder Mitarbeit in besonderem Maße beigetragen hat. Diese Ausgleichsverpflichtungen klären die gesetzlichen Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs und sorgen für eine faire Verteilung unter den Erben einer Gemeinschaft.
1. Wann muss ein Ausgleich erfolgen?
Nach deutschem Erbrecht wird im Regelfall unter den gesetzlichen Erben, meist den Kindern, der Nachlass zu gleichen Teilen aufgeteilt. Auch wenn die Erbfolge per Testament festgelegt wurde, kommt es oft zu einer gleichwertigen Berücksichtigung der Abkömmlinge, sodass die Geschwister eine Erbengemeinschaft bilden. In diesem Zusammenhang muss die Frage geklärt werden, ob Zuwendungen, sogenannte „Vorempfänge“, oder erbrachte Leistungen untereinander ausgeglichen werden.
Ein solcher Anspruch kann jedoch erst mit Eintritt des Erbfalls geltend gemacht werden. Zwei Fälle erfordern einen solchen Ausgleich:
1. Wenn Kinder oder Enkel als gesetzliche Erben berücksichtigt werden
2. Wenn Abkömmlinge aufgrund eines Testaments oder Erbvertrags wie gesetzliche Erben oder im gleichen Verhältnis bedacht werden.
Die Annahme des Gesetzgebers ist, dass bei gleicher Berücksichtigung der Kinder im Testament der Erblasser eine faire Aufteilung wünschte, was auch den Ausgleich bestimmter Vorleistungen oder Zuwendungen bedeutet. In Erbengemeinschaften, bei denen Geschwister in gleichen Teilen erben, wird daher geprüft, wie Vorempfänge oder Leistungen in die Verteilung einfließen sollen. „Beim sogenannten Berliner Testament von Ehegatten wird allerdings auch der vorverstorbene Ehepartner als Erblasser betrachtet, sodass dessen Zuwendungen ebenfalls beim zweiten Erbfall auszugleichen sind“ erklärt Rechtsanwalt István Cocron, von der Kanzlei Cocron.
2. Welche Zuwendungen und Leistungen sind auszugleichen?
Das Gesetz sieht vor, dass im Erbfall bestimmte Lebenssachverhalte ausgeglichen werden müssen, die in zwei Kategorien fallen. Zum einen umfasst es Zuwendungen, die der Erblasser seinen Kindern zu Lebzeiten gemacht hat, und zum anderen nicht vergütete Leistungen der Kinder zugunsten des Erblassers.
a. Zuwendungen des Erblassers zu Lebzeiten
Ausgleichsansprüche können entstehen, wenn ein Kind zu Lebzeiten des Erblassers bestimmte Vorteile erhalten hat, wie etwa:
– Eine Ausstattung gemäß § 1624 BGB. Darunter fallen Vermögenszuwendungen, die Eltern Kindern beispielsweise zur Eheschließung oder Gründung eines eigenen Haushalts zukommen lassen. Dies könnte finanzielle Unterstützung, die Schenkung eines Hauses oder Beteiligung am Familienunternehmen umfassen.
– Zuschüsse oder Ausgaben für Ausbildung oder Beruf, sofern sie den finanziellen Rahmen des Erblassers überstiegen.
– Eine besondere Zuwendung, bei der der Erblasser festgelegt hat, dass andere Kinder im Erbfall einen entsprechenden Ausgleich verlangen dürfen.
b. Besondere Leistungen eines Abkömmlings
Kinder können außerdem einen Ausgleich erhalten, wenn sie durch unentgeltliche Leistungen dem Erblasser langfristig zur Seite standen und so zu dessen Vermögenserhalt oder -vermehrung beitrugen. Solche Leistungen können umfassen:
– Langjährige Mitarbeit im Haushalt, Beruf oder Geschäft des Erblassers ohne Entgelt.
– Pflegetätigkeiten über einen längeren Zeitraum hinweg, ohne dass ein angemessenes Honorar vereinbart war.
3. Wie kann der Erblasser eine Ausgleichspflicht vermeiden?
Der Erblasser hat die Möglichkeit, den Ausgleich für lebzeitige Zuwendungen nach seinem Ableben auszuschließen. Dies kann er tun, indem er bei der Zuwendung ausdrücklich darauf hinweist. Eine solche Anweisung hat Vorrang, da die Ausgleichspflicht ohnehin nur aus dem vermuteten Willen des Erblassers resultiert. Der Erblasser kann den Ausgleich entweder komplett, teilweise oder unter bestimmten Bedingungen aufheben. „Zwar ist eine schriftliche Form nicht zwingend erforderlich – auch eine mündliche Anweisung wäre rechtskräftig – jedoch ist es zur Beweissicherung ratsam, die Anordnung schriftlich festzuhalten. Zudem können erbende Kinder vertraglich Änderungen, Ausschlüsse oder Bestimmungen festlegen, da Ausgleichspflichten gesetzlich nicht verpflichtend sind “ erläutert Rechtsanwalt István Cocron.
4. Wie erfolgt der Ausgleich zwischen den Erben?
Der Ausgleichsanspruch kann nicht gerichtlich eingefordert werden, sondern ist Teil der Verteilung des Erbes innerhalb der Erbengemeinschaft. Es beeinflusst die Erbaufteilung, nicht jedoch den Erbschein. Dabei wird das Kind, das eine Zuwendung erhalten hat, durch eine entsprechende Anrechnung auf seinen Erbteil bedacht, wodurch sich der Anteil der anderen Erben erhöht. Die Erbenstellung oder das Erbverhältnis selbst wird dadurch jedoch nicht verändert. Die auszugleichenden Zuwendungen sind nicht Teil des Nachlasses und müssen auch nicht zurückgegeben werden; es handelt sich lediglich um eine rechnerische Anrechnung, die auch inflationsbereinigt erfolgen kann.
5. Welche Informationspflichten bestehen?
Häufig wissen nicht alle Erben über frühere Zuwendungen an Andere Bescheid. Erben, die eine Anrechnung verlangen, müssen nachweisen, dass es sich um ausgleichspflichtige Zuwendungen handelte. Wer eine solche Zuwendung erhalten hat, muss hingegen nachweisen, dass der Erblasser eine Ausgleichung ausgeschlossen hat. Das Erbrecht sieht daher Auskunftsansprüche vor, wonach jeder Miterbe auf Anfrage der übrigen Erben Informationen über empfangene Zuwendungen geben muss, gegebenenfalls durch eidesstattliche Erklärung.
Kommt es zu Konflikten, kann ein Miterbe eine Stufenklage einreichen, die auf Auskunftserteilung und Feststellung der Ausgleichspflicht abzielt. Leistungsklagen auf Zahlung eines Ausgleichs sind hingegen ausgeschlossen.
„Falls die Ausgleichspflicht bei der Erbverteilung übersehen wurde und der Nachlass bereits verteilt ist, können unter Umständen Bereicherungsansprüche geltend gemacht werden“, so Rechtsanwalt Cocron.